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Der Psychiater Andreas Marneros hat ein Buch über rechtsradikale Täter in Sachsen-Anhalt geschrieben

Gewalt, nur weil es Spaß macht

Wenn aus purer Lust an sinnloser Gewalt getötet wird: In einem beklemmenden Buch berichtet der hallesche Psychiater Andreas Marneros über seine Gespräche mit rechtsextremen Gewalttätern. Sein Plädoyer: Bewährungsstrafen helfen nicht.

VON UNSEREM REDAKTEUR STEFFEN REICHERT

Halle/MZ. Er kannte den Mörder. Andreas Marneros hatte ihn das erste Mal gesehen, als im halleschen Hochsicherheitstrakt der Mord an dem Mosambikaner Alberto Adriano verhandelt wurde. Und als zeitgleich der 23-jährige Demonstrant Axel vor dem Gerichtsgebäude in die TV-Kameras aus aller Welt skandierte, dass noch "viel mehr von diesen Negern" umgebracht werden müssten.

Als Andreas Marneros Axel Jahre später zum zweiten Mal traf, war der Neonazi inzwischen selbst zum Mörder geworden. Gemeinsam mit einem Kumpan hatte er die junge Anna umgebracht, irgendwo am Hexentanzplatz. Es ging um Bier und Schnaps, um Musik und Sex. Letztlich ging es um Gewalt, nur weil es Spaß macht.

"Blinde Gewalt" hat der Psychiater Marneros sein jüngstes Buch genannt. Es ist ein Buch, das von rechtsradikalen Gewalttätern aus dieser Region und von ihren zufälligen Opfern erzählt. Mit Fällen, bei denen die Tatorte in Halle, im Saalkreis und in Dessau liegen. Bedrückend und beklemmend sind die geschilderten Details. Gerichtsgutachter Marneros, 58 Jahre alt, hat die Taten nach langen Gesprächen mit den Tätern akribisch rekonstruiert und reflektiert die dramatischen Ereignisse. Vor allem mit Schulklassen will er darüber diskutieren. Sein Resümee ist eindeutig. "Wir alle sind gefährdet", bekräftigt der Chef der halleschen Universitätspsychiatrie. "Die meisten Opfer von Rechtsextremisten sind ja nicht Schwarze, Ausländer oder Juden: Es sind Deutsche." Auch deshalb ist eine Konsequenz für ihn unumstößlich. "Wir müssen wehrhaft sein - nicht aus Anständigkeit, sondern aus Selbstschutz." Blinde Gewalt kann jeden treffen.

"Bewährungsstrafen werden als Freispruch verstanden."

Andreas Marneros

Gerichtsgutachter

Marneros weiß, wovon er spricht. Der Hochschullehrer weiß um die meist zerstörten Familienverhältnisse, er kennt das diffuse Weltbild der Täter. Er selbst ist Wahldeutscher. Auf Zypern geboren, kam er erst 1973 an deutsche Universitäten, lehrte und arbeitete in Köln, bevor er 1992 die hallesche Universitätspsychiatrie übernahm. In Halle längst heimisch geworden, fällt der Wissenschaftler natürlich noch immer durch seinen starken Akzent auf. "Wenn ich die Täter im Gespräch jedes Mal frage, ob ich als Ausländer auch aus Deutschland raus müsste, dann sagen sie: Aber Sie doch nicht, Herr Professor."

Die selben Täter, die den Wahldeutschen als absolute Autoritätsperson akzeptieren, spielen mit dem Kopf eines Mannes im Tunnelbahnhof von Halle-Neustadt quasi so lange "Fußball", bis er stirbt. Solche Täter sind es auch, die zu dritt fünf Stunden lang einen Elfjährigen in einem unsäglichen Martyrium misshandeln, weil der nicht schnell genug am Computer Platz gemacht hatte. Oder die sich, nachdem sie sich lange genug an der Musik von "Stahlgewitter" und "Fackelschein" aufgeputscht haben, aufmachen, den geistig Behinderten so lange zusammenzutreten, bis er den Verletzungen erliegt.

Im Angesicht solcher Ereignisse hat sich auch Marneros verändert. Weil er beobachtet hat, dass rechtsradikale Gewalt in Ostdeutschland eine wesentlich größere Akzeptanz als im Westen erfährt, plädiert er für harte Strafen gegen "Hitlers Urenkel". "Bewährungsstrafen werden als Freispruch verstanden", hat Marneros immer wieder als Erfahrung gemacht. Er sei deshalb "sehr, sehr skeptisch", was Bewährungsstrafen angeht. Vielmehr müssten die Gerichte mit ihrem Strafmaß deutlich machen, wo die Grenzen liegen.

Und dann erzählt Marneros noch von einem anderen Erlebnis. Er berichtet, wie er nach einem dieser ungezählten Gespräche mit den Tätern aus dem Gefängnis zurück ins Büro kommt und kaum noch Luft bekommt. Wie er dieses Wort "HASS", tätowiert auf die Rückseiten der Fingerwurzeln immer wieder sieht. Wie sich die Konterfeis von Adriano, von dem kleinen Jungen und dem geistig behinderten Mann verwaschen. "Gestern du, heute ich", entfährt es ihm da.

Das Buch "Blinde Gewalt" von Andreas Marneros ist im Scherz-Verlag erschienen. Preis: 19,90 Euro

GEWALTTATEN

Mutmaßliche Neonazis vor Gericht

Einen deutlichen Anstieg rechtsextremer Gewalt hat es im vergangenen Jahr in Sachsen-Anhalt gegeben, was die Sicherheitsbehörden auf eine erstarkte Szene als Folge des NPD-Wahlerfolges in Sachsen zurückführen. Die Ahndung dauert oft lange. So beginnt morgen und damit zweieinhalb Jahre nach einem brutalen Überfall auf Jugendliche in Schönebeck das Berufungsverfahren gegen sechs mutmaßliche Neonazis wegen gefährlicher Körperverletzung vor dem Landgericht Magdeburg. Bei dem Überfall im Februar 2003 waren vier junge Leute schwer verletzt worden. Im März 2004 waren fünf Angeklagte wegen gefährlicher Körperverletzung zu Bewährungsstrafen verurteilt worden, einer musste für dreieinhalb Jahre in Haft. Die vier Opfer - zwei Frauen und zwei Männer im Alter zwischen 18 und 21 Jahren - waren auf offener Straße ohne ersichtlichen Grund attackiert worden. Die Angreifer schlugen ihre Opfer zunächst nieder und traten anschließend gegen deren Köpfe.



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